Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Der große Kalanag

Interessante Biografie mit leichten Schwächen

Von: Buchbesprechung
20.06.2021

REZENSION - „Große Lügner sind auch große Zauberer.“ Diesen Satz Adolf Hitlers hat Autor Malte Herwig (48) seiner im März im Penguin Verlag erschienenen Biografie „Der große Kalanag“ vorangestellt. Auch mit dem Untertitel „Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte“ weist deutlich auf Ähnlichkeiten zwischen dem politischen „Verführer“ und dem später ebenfalls weltberühmten „Verzauberer“ der Deutschen hin, wenn auch auf ganz unterschiedlicher Ebene. Herwig beschreibt in kleinsten Details das unstete Privatleben und den schillernden Werdegang jenes Helmut Schreiber (1903-1963), der nach zweifelhafter Karriere als Filmproduzent und Amateur-Zauberer unter den Nazis erst in der Bundesrepublik als Berufsmagier zum „größten Magier der Welt“ wurde. „Helmut Schreiber war ein Meister der Täuschung, auf der Bühne und im wahren Leben“, schreibt Herwig im Nachwort und schildert anhand unzähliger Quellen, wie es Schreiber gelang, seine Nazi-Vergangenheit zu verschleiern. Verleugnen konnte er sie nie, da seine Nähe zu den Größen des Regimes bis hinauf zur Spitze vielfach dokumentiert war. Dieses Quellenmaterial – die Nachweise füllen allein 50 von 480 Seiten – wertete Herwig für sein Buch weidlich aus. Doch genau dies ist eine Schwäche der Biografie über einen Mann, für den sich heute kaum jemand interessiert. Diese Ausführlichkeit langweilt irgendwann. Man möchte dem Autor zurufen „Wir haben verstanden“ und blättert weiter. Herwig kratzt am längst verblassten Ruhm eines Zauberers mit „brauner Weste“, für die sich gleich nach dem Krieg die Öffentlichkeit aus bekannten Gründen nicht interessiert hat und nach der heute, zwei Generationen später, schon gar niemand mehr fragt. Von Kalanag blieb allenfalls sein Nachruhm bei wenigen älteren Leser, die den großen Magier noch selbst erlebt haben oder bei solchen, die der Welt der Magie verbunden sind. Malte Herwig versucht, den Zauberer Helmut Schreiber politisch in die Nazi-Ecke zu stellen und spricht von dessen „politischer Biografie“. Doch an anderer Stelle widerlegt er genau diese These selbst: „Schreiber war kein Ideologe, kein überzeugte Fanatiker – aber er war ehrgeizig.“ Helmut Schreiber hatte sich schon als 16-Jähriger mit Leib und Seele der Zauberei verschrieben. „Er war eine unglaublich willensstarke Persönlichkeit,“ wird im Buch zitiert. Und: „Wen er gebraucht hat, den hat er gut behandelt. Mit Leuten, auf die er nicht angewiesen war, konnte er elend sein.“ Schreiber war kein politisch denkender Mann, sondern ein skrupelloser Ehrgeizling und Opportunist, der es verstand, die Gegebenheiten und Möglichkeiten seiner Zeit zum persönlichen Vorteil zu nutzen. „[Schreiber] fühlte sich wie ein Alleinherrscher, seit der Magische Zirkel 1936 nach dem Führerprinzip gleichgeschaltet und er als Präsident eingesetzt worden war.“ Regierungen waren für Schreiber beliebig austauschbar. „Schreibers nahezu lückenlose Dokumentation seiner Vorstellungen zeigt auch, wie mühelos der Zauberer aus Deutschland über die Umbrüche der politischen Systeme von 1918 über 1933 und 1945 hinweg schwebte.“ Schreiber scheint sich seiner Nazi-Vergangenheit nicht geschämt zu haben. Er hat sie kurzerhand verdrängt. Sie war für ihn bedeutungslos, eine Episode seines Lebens. Dies zeigt sich wieder nach dem Krieg, als er, während die US-Besatzer noch Material über ihn sammeln, in den britischen Sektor nach Hamburg wechselt in der Annahme, dort schneller an eine Auftrittsgenehmigung zu kommen. Er wollte nur wieder zaubern, egal unter welcher Regierung. Trotz wissenschaftlicher Akribie gleitet Herwig stellenweise ins Romanhafte: „Die junge Frau …. war pünktlich und gepflegt gekleidet. Sie trug ein hochgeschlossenes Kleid und die braunen Locken zusammengebunden.“ In anderen Passagen lässt der Autor Vermutungen zu, wo ihm Fakten fehlen – wie bei der Frage, warum Ida Ehre den Zauberer 1947 nicht in ihren Hamburger Kammerspielen auftreten lässt. So gibt es manche Möglichkeit zur Kritik. Doch letztlich ist „Der große Kalanag“ die interessante Charakterstudie eines skrupellosen, ehrgeizigen, machtbesessenen Mannes, der es in jeder Situation versteht, seine Mitmenschen mit seiner „freundlich-unschuldigen Art“ zu manipulieren und zu verführen. Hier drängt sich dann wieder der Vergleich mit dem Nazi-Regime auf: „Dem Reiz einer gelungenen Illusion konnte sich niemand entziehen – denn die Menschen wollten getäuscht werden.“

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.